Die Geschichte der Stenografie


Kurzschrift – was ist das, wozu braucht man das und wer hat sich so was ausgedacht? Werfen wir einen Blick auf die „kleine Kulturgeschichte der Kurzschrift“

Vor 30 Jahren begann ich eine Ausbildung im Büro- und Verwaltungsbereich, damals gehörte Stenografie zu den Ausbildungsinhalten und deshalb musste ich das lernen.
Unsere damalige Chefsekretärin war sehr firm in Steno, sie protokollierte bei Tagungen und Konferenzen mit, über die Flüssigkeit und Schnelligkeit konnte ich nur staunen. Leider bin ich nie über die Anfänge, die Verkehrsschrift und Auszüge aus der Eilschrift hinausgekommen. Als ich mich Jahre später beruflich neu orientierte, geriet Steno ganz in Vergessenheit und was man nicht regelmäßig übt, das verlernt man leider.

Vor ein paar Jahren fiel mir mein altes Steno-Lehrbuch wieder in die Hände und hab probiert ob und was ich noch kann – und dann merkte ich, was schon früher mein Problem mit Steno war, ich bin Linkshänder. Spaßens halber habe ich dann mal Steno + Linkshänder gegoogelt und dann war ich plötzlich bei Stiefografie gelandet.

Es geht um das Thema Stenografie. Was ist das, wozu braucht man das und wer hat sich so was ausgedacht? Werfen wir heute einen Blick auf die „kleine Kulturgeschichte der Kurzschrift“…

Erste Ursprünge der Kurzschrift sind bereits im Altertum bei den Griechen zu finden. Früheste Zeugnisse einer Kurzschrift bzw. tachygraphische Zeichen wurden auf dem Akropolis-Stein aus dem 4. Jh. v. Chr. entdeckt.
Die erste vollständig bekannte Kurzschrift stammt aus dem 1. Jh. v. Chr. und werden Tironische Noten genannt. Geschaffen hat sie der Geheimschreiber Marcus Tullius Tiro, erst Sklave, dann Geheimschreiber von Cicero. Es sind 12.000 Tironische Noten bekannt, die eng mit der lateinischen Schrift verknüpft sind.

Im Mittelalter bestand kein Bedarf einer Kurzschrift, man nutzte Abkürzungen der Langschrift und teilweise fanden noch Reste der Tironischen Noten Anwendung.
In der Neuzeit entstand wieder Bedarf einer Kurzschrift, das Geburtsland der neueren Stenographie ist England. John Willis stellte 1602 das erste stenografische Alphabet auf.
Die Entwicklung der Stenographie nahm ihren Lauf. 1837 vereinfachte Isaac Pitman die vorherigen Systeme und nahm die Unterscheidung in Vollschrift und Kammerstenographie vor.
In Frankreich und Deutschland entwickelten sich darauf aufbauend eigene Systeme.

Das erste erwähnenswerte deutsche Kurzschrift-System entwickelte Franz Xaver Gabelsberger (1789-1849), er gilt somit als Vater der deutschen Redezeichenkunst.
Er bildete die Buchstaben seines stenographischen Alphabets aus flüchtigen, leicht verbindungs- und verschmelzungsfähigen Teilzügen der gewöhnlichen Schrift, die Selbstlaute wurden sinnbildlich dargestellt. Weiterhin ersann er ein geistreiches, außerordentlich ergiebiges und einfaches, freies Kürzungsverfahren.
Im Jahr 1817 entwickelte Gabelsberger seine Schnellschrift mit dem Ziel der Erleichterung der Arbeit für Staatsbeamte und zur schnellen Erfassung von Parlamentsreden.
Nach zahlreichen Verbesserungen hatte sein System 1834 eine feste Form angenommen und es erschien unter dem Titel: „Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie.“
Bis 1843 erweiterte er sein System noch um seine Satzkürzungslehre und veröffentlichte diese in den „Neuen Vervollkommnungen in der deutschen Redezeichenkunst“. Den zweiten Teil konnte er vor seinem Tod 1848 nicht mehr vervollständigen. Diesen vollendete der Münchner „Gabelsberger Stenographen-Zentralverein“ mit Hilfe der von Gabelsberger hinterlassener Papiere und veröffentlichte ihn 1850.
Nach dem Tod Gabelsbergers war die Einheit seines Systems durch die Bildung verschiedener Richtungen und Schulen gefährdet. Mit den „Dresdner Beschlüsse“ am 3. August 1854 erfolgte die Vereinigung der Münchener, Dresdener und Wiener Richtung zu einer einheitlichen Schule auf der das gabelsbergersche System heute begründet.
Immer wieder tauchten andere auf Gabelsberger beruhende sowie neue Systeme auf. Heute kennen nur noch wenige Stenografen das Gabelsberger System.

Ein Bewunderer von Gabelsberger war August Wilhelm Heinrich Stolze (1798-1867), er machte es sich zur Aufgabe, eine Gebrauchsschrift für breitere Kreise zu schaffen. Kürze allein reichte Stolze nicht, er entwickelte die Dreizeiligkeit der Kurzschrift, um ein eindeutiger lesbares Schriftbild zu erhalten, und er führte ca. 1100 Wortkürzungen ein. Das Stolze-System galt ebenso wie Gabelsberger als schwer erlernbar.

Der Stenografielehrer und Verhandlungsstenograf Ferdinand Schrey (1850-1938) versuchte die Gabelsberger Schule für eine Vereinfachung zu gewinnen und das System in zwei Stufen aufzuteilen: in eine Korrespondenz- und Redeschrift. Dieser Versuch blieb erfolglos und deshalb begann er eine eigene Kurzschrift zu entwickeln, die leichter erlernbar war und schnell viele Anhänger gewann.
Das System von Schrey war bald drittstärkste Schule neben Gabelsberger und Stolze. Damit war die Grundlage für das Einigungssystem Stolze/Schrey geschaffen, das am 1. Januar 1898 in Kraft trat und die Forderung nach leichter Erlernbarkeit, Kürze, Deutlichkeit und Einfachheit bestens erfüllt.
1887 gab er das „Lehrbuch der Vereinfachten Deutschen Stenografie“ heraus. Nach Einigungsverhandlungen kam es 1897 zu einem Zusammenschluss der beiden Stenografie-Systeme Stolze und Schrey. Das System Stolze-Schrey fand weite Verbreitung, besonders in Norddeutschland, und findet bis heute in der deutschsprachigen Schweiz Anwendung.

Ein weiteres Stenografie-System ist die von Karl Friedrich Scheithauer (1873-1962) 1913 veröffentlichte Alphabetische Stenographie. Scheithauers Werbeslogan lautete „mit 42 Zeichen ohne Dick und Dünn und ohne Sigel“. Das System verwendet 31 Konsonanten- und 11 Vokalzeichen, ist zeilenunabhängig und kommt ohne Verstärkungen aus. Dies ermöglicht eine leichte Lesbarkeit. Ein einfaches Regelwerk ermöglicht es, dieses System schnell und einfach zu erlernen. Scheithauers Kurzschrift würde für verschiedene Sprachen aufgearbeitet, z.B. für Englisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch, des Weiteren gibt es eine Bearbeitung für die Kunstsprache Esperanto. Scheithauer selbst wandte seine Kurzschrift für die Weltsprache Volapük an, auch die russische Stenografie baut auf Scheithauers System auf.

Wir haben jetzt viele verschiedene Kurzschriftsysteme, das führt natürlich zu Problemen, deshalb wurde um 1906 der Ruf das einer Einheitskurzschrift laut, diese konnte 1924 nach zähen Verhandlungen zwischen den Vertretern der verschiedenen Systeme vorgestellt werden. In Deutschland und Österreich setzte diese sich rasch durch, nur in der deutschsprachigen Schweiz blieb das System Stolze-Schrey bis heute erhalten.
Der 20. September 1924 ist die Geburtsstunde der DEK, sie beruht auf den Ideen von Gabelsberger, Stolze und Schrey. 1968 mit der „Wiener Urkunde“ als Standardsystem in Deutschland und Österreich etabliert, baut sich die DEK in drei Schriftstufen auf: die Verkehrsschrift, die Eilschrift und die Redeschrift.

Damit endet die Geschichte der Stenografie aber noch nicht.
Der 1906 geborene Helmut Stief war Anfang des 20. Jahrhunderts ein anerkannter Stenograf. Er entwickelte eine eigene Stenografie, die 1966 erstmalig veröffentlicht wurde. Stief bezeichnete sein System als Rationelle Stenografie, sie ist auch unter dem Namen Stiefografie bekannt.
Mit nur 25 Zeichen und 12 Regeln kann die Grundschrift der Rationellen Stenografie in kurzer Zeit erlernt werden. Die Aufbauschrift ermöglicht durch weitere Kürzel und Kürzungsregeln eine Erhöhung der Schreibgeschwindigkeit. Da es in der Stiefografie keine Verstärkungen gibt, ist dieses System gut für Linkshänder geeignet.
Der einfache und logische Aufbau der Rationellen Stenografie erlaubt eine einfache und schnelle Lösung: Das Spiegeln der Schrift. 1976 konnte das erste Kurzschriftsystem speziell für Linkshänderinnen und Linkshänder auf der Grundlage der Rationellen Stenografie entwickelt werden.

Habt ihr jetzt Lust auf Steno bekommen?

Diesen Beitrag gibt es auch zum Hören, auf https://blog.kulturkramkiste.de/2019/08/11/zum-diktat-bitte/

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